öffentliche Auftragsvergabe

öffentliche Auftragsvergabe
1. Begriff: Entgeltliche Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen durch öffentliche Auftraggeber, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen und die sie am Markt erwerben.
- 2. Wirtschaftliche Bedeutung: Bund, Länder und Gemeinden vergeben Aufträge von ca. 360 Mrd. Euro jährlich. Dazu kommen die Aufträge öffentlicher Unternehmen, die mit ca. 60 Mrd. Euro jährlich zu beziffern sind. In der EU (bezogen auf 15 Mitgliedstaaten) betrug das Gesamtvolumen der öffentliche Aufträge 2002 rund 1.500 Mrd. Euro, das sind 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU. Nachgefragt werden Güter und Leistungen fast aller Branchen, von Verbrauchsgütern bis zu technischen Großgeräten. Dem öffentlichen Autragswesen kommt deshalb nicht nur im Rahmen der staatlichen Haushalts- und Finanzpolitik, sondern auch im Rahmen der Wirtschafts-, Konjunktur- und Infrastrukturpolitik ein hoher Stellenwert zu. Dies birgt nicht nur die Gefahr, ausländische Anbieter im Wettbewerb auszugrenzen, sondern das öffentliche Auftragswesen mit Zwecken zu versehen, die nicht unmittelbar auf das günstigste oder wirtschaftlichste Angebot zielen, sondern etwa auf Gesichtspunkte des Umweltschutzes. Im Interesse der Öffnung und Offenhaltung der Märkte und Schaffung gleicher Zugangsbedingungen für die Anbieter unterliegt das öffentliche Auftragswesen deshalb verstärkt der rechtlichen Regelung im Rahmen der WTO, der EU und des nationalen Vergaberechts.
- 3. Rechtlicher Rahmen: a) Das am 1.1.1996 im Rahmen der  World Trade Organization (WTO) in Kraft getretenen Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement (GPA)) verpflichtet die 27 Vertragsstaaten – wozu auch die EU gehört – auf die Grundsätze der Inländerbehandlung, der Meistbegünstigung, der Transparenz und des vergaberechtlichen Rechtsschutzes.
- b) Das neue deutsche Vergaberecht wird maßgeblich geprägt durch die Vorschriften des EU-Rechts, nämlich die bisher erlassenen vier Richtlinien nebst Änderungen zum materiellen Vergaberecht (Dienstleistungs-Richtlinie 92/50/EWG, Lieferkoordinierungs-Richtlinie 93/36/ EWG, Baukoordinierungs-Richtlinie 93/37/EWG, Sektorenrichtlinie 93/38 EWG) sowie Richtlinien zum Rechtsschutz bei der Vergabe (Überwachungs-Richtlinie 89/665/EWG und Sektorenüberwachungs-Richtlinie 92/13/EWG). Diese Richtlinien schreiben den Mitgliedstaaten vor, dass öffentliche Aufträge zwingend europaweit ausgeschrieben werden müssen, wenn der Wert der Aufträge bestimmte Schwellenwerte überschreitet. Sofern diese Schwellenwerte nicht erreicht werden, regelt sich die Vergabe öffentlicher Aufträge nach dem jeweiligen Haushaltsrecht des Bundes und der Länder.
- c) (1) Diese Richtlinien sind in Deutschland schließlich umgesetzt worden im Rahmen des Vergaberechtsänderungsgesetzes vom 26.8.1998 (BGBl I 2512) als neuer vierter Teil des GWB (§§ 97 ff. GWB) und der auf § 97 VI GWB gestützten Vergabeordnung (VgV) in der Fassung vom 11.2.2003 (BGBl I 169). Der Schwellenwert beträgt bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen im Bereich der Trinkwasser- oder Energieversorgung und im Verkehrsbereich 400.000 Euro, für alle anderen Liefer- und Dienstleistungsaufträge 200.000 Euro, für Bauaufträge 5 Mio Euro, für Auslobungsverfahren, die zu einem Dienstleistungsauftrag führen, dessen Schwellenwert. Ferner sind für die Teil- und Fachlose von Dienstleistungsaufträgen und Bauaufträgen je nach Wert besondere Schwellenwerte vorgesehen (§ 2 VgV).
- (2) Zum Kreis der öffentlichen Auftraggeber, die den Regelungen der §§ 97 ff. GWB und der Vergabeverordnung unterfallen, gehören nicht nur die Gebietskörperschaften und deren Sondervermögen, sondern auch natürliche und juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts, sofern sie überwiegend öffentlich finanziert oder mehrheitlich kontrolliert im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllen oder im Bereich der Daseinsvorsorge tätig sind, oder wenn mit dem Auftrag eine Baukonzession verbunden wird (vgl. § 98 GWB).
- (3) Die Vergabe von öffentlichen Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen erfolgt im Wege von offenen, nicht offenen oder Verhandlungsverfahren. Offene Verfahren sind Verfahren, in denen eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Aufgabe von Angeboten, während bei den nichtoffenen Verfahren eine beschränkte Anzahl von Unternehmen zur Angebotsaufgabe aufgefordert wird. Öffentliche Auftraggeber haben grundsätzlich das offene Verfahren anzuwenden, sofern nicht aufgrund der Bestimmungen des GWB etwas anderes gestattet ist. Dazu bestimmt die Vergabeordnung, für welche Arten von öffentlichen Aufträgen welche Arten der Ausschreibung nach welchen Kriterien Anwendung finden können (§§ 4–8 VgV). Die Vergabeverordnung verweist hierzu wiederum auf die Verdingungsordnung für Leistungen (VOL/A) für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, auf die Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) für die Vergabe freiberuflicher Dienstleistungen und auf die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) für die Vergabe von Bauleistungen. Aufgrund dieser komplizierten Verweisungstechnik vom GWB auf die Vergabeverordnung und von dort auf die Verdingungsordnungen (sog. Kaskadenprinzip) erlangen die Verdingungsordnungen, die an sich von privaten Gremien erstellte Regelwerke mit AGB-Charakter darstellen, die Geltung von Rechtsnormen.
- d) Rechtsschutz: Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, die wegen des Überschreitens der Schwellenwerte europaweit auszuschreiben sind, unterliegen der Nachprüfung durch Vergabekammern (§ 102 GWB). Damit wird den Mitbietern in diesen Fällen ein Rechtsanspruch auf Einhaltung des Vergabeverfahrens eingeräumt (vgl. § 107 GWB). Die Vergabekammer entscheidet, ob der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist und trifft die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern (§ 114 GWB). Ein bereits erteilter Zuschlag kann nicht aufgehoben werden. Die Entscheidung der Vergabekammer ergeht durch Verwaltungsakt (§ 114 I, II GWB). Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig, über die das für den Sitz der Vergabekammer zuständige Oberlandesgericht entscheidet (§ 116 GWB). Bund und Länder können den Verfahren vor der Vergabekammer ein Vorverfahren vorschalten, in dem eine Vergabeprüfstelle die Einhaltung der Vergabevorschriften überprüft (§ 113 GWB).
- 4. Sofern der öffentliche Auftrag den Schwellenwert nicht erreicht, regelt sich die Vergabe des Auftrags nach dem Haushaltsrecht. Dieses bindet zwar die öffentlichen Auftraggeber, eröffnet aber den konkurrierenden Bietern grundsätzlich keine eigenen Rechte. Die Bundeshaushaltsordnung (§ 55) und die Landeshaushaltsordnungen sehen lediglich vor, dass Lieferungen und Leistungen grundsätzlich öffentlich auszuschreiben sind, damit die Haushaltsmittel wirtschaftlich und sparsam verwendet werden. Von dem Gebot der öffentlichen Ausschreibung kann ausnahmsweise abgesehen werden, sofern die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände dies rechtfertigen. Zur Wahrung der Chancengleichheit aller Anbieter ist beim Abschluss von Verträgen nach einheitlichen Richtlinien, v.a. nach den oben genannten VOB, VOL und VOF vorzugehen. Aus der Nichtbeachtung der Verwaltungsvorschriften durch die Behörden erwächst den unterlegenen Mitgliedern jedoch kein Anspruch wie im Vergabeverfahren nach dem GWB.

Lexikon der Economics. 2013.

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